Auf zwei Rädern am Nil aufwärts (Teil I: Ein holpriger Start)

Ich stehe auf dem Balkon. In der Ferne sehe ich einige Gebirgszüge, die sich südlich von Kairo hinter den letzten Hochhäusern der Stadt erheben. Sie sind im dichten Smog, der über Kairo hängt, fast unsichtbar. Aber nur fast.

Es ist nicht das erste Mal, dass ich hier stehe und in die Ferne schaue. Ganz im Gegenteil, fast täglich habe ich mich die letzten Monate hier rausgestellt, um ein wenig verschmutzte Luft zu schnappen, aber vor allem um für einen kurzen Moment zur Ruhe zu kommen. Das mag etwas merkwürdig klingen angesichts des nicht abreißenden Verkehrsstrom auf der mehrspurigen Straße vor unserem Haus. Aber ich brauche diesen Lärm, den Blick über die vernebelte Stadt, um mir immer wieder bewusst zu machen, wo ich bin. Das ich da bin, wo ich sein möchte. In der Ferne. Eigentlich ist es also nichts besonderes, dass ich heute hier stehe. Und doch ist es anders. Weil mein Blick in den Süden nicht mehr die Frage aufwirft, was kommt dann? Was liegt hinter den Hochhäusern, hinter den Gebirgszügen? Stattdessen fühle ich ein Knäuel von Emotionen in meiner Brust auf und nieder springen. Anstatt Fragezeichen blitzen bunte Bilder vor meinem inneren Auge auf. Grüne Felder, Palmen im Licht der untergehende Sonne, die Gebirgszüge auf der anderen Seite des Nils, Gesichter, mal neugierig, mal misstrauisch, meist offen und freundlich. Erinnerungen von meiner Reise entlang am Nil. Von einer Reise mit dem Fahrrad, vom Süden Kairos bis nach Aswan, nahe der ägyptischen Grenze zum Sudan.

Der Gedanke, eine Radtour am Nil entlang zu machen, entstand bereits vor meiner Reise nach Ägypten. Es schien naheliegend, als begeisterte Radlerin das Land auf diese Weise näher kennenzulernen. Nicht zuletzt, da doch der Nil als Lebensader Ägyptens gilt, an der gut 90% der Bevölkerung leben. Während die Wüste, die flächenmäßig den Großteil des Landes ausmacht, fast unbesiedelt ist. Dennoch konnte mich die Idee nicht sofort mitreißen. Es schien mir schlicht und einfach zu riskant, eine Radtour in einem Land zu machen, in dem man laut dem Auswärtigen Amt am besten gar nicht die touristischen Zentren in Kairo und am Roten Meer verlassen sollte. Dann kam ich jedoch selbst nach Ägypten und begann dort mein Auslandssemester. Nach und nach vergaß ich die Warnungen und verließ mich stattdessen auf meine eigene Menschenkenntnis, besuchte Freunde und deren Familien im Nildelta, in dem als terroristische Hochburg verschrienen Minya und fuhr alleine mit einem öffentlichen Kleinbus quer durch die ägyptische Wüste. Und während ich mich so Schritt für Schritt immer weiter aus Kairo herauswagte, stellte ich fest, dass das Leben hier nicht gefährlicher ist, als irgendwo anders auf der Welt. Ich will dabei weder bejahen noch abstreiten, dass ein Risiko bestehen könnte, Opfer eines Anschlags oder einer Entführung zu werden. Ich bin jedoch überzeugt davon, dass dieses Risiko nicht höher ist, als anderswo Opfer eines Verkehrsunfalls, eines Unwetters, eines Raubüberfalls oder des schwarzen Manns zu werden. Und wir gehen ja trotzdem aus dem Haus, fahren Auto, gehen schwimmen, ja, wir leben schlichtweg. Und das Leben hat es nun mal an sich, lebensgefährlich zu sein, wie Kästner einst richtigerweise feststellte. Egal ob ich im Cospudnersee schwimmen gehe oder mit dem Rad zur Uni fahre, ob ich mich durch Kairos Verkehrschaos kämpfe oder mit dem Rad am Nil entlang fahre. Und wie viele bereichernde Erfahrungen und wunderbare Begegnungen hätte ich bereits verpasst, hätte ich auf diese Warnungen gehört und mich nicht aus Kairo herausgewagt. Warum dann nicht auch eine Radtour am Nil?

 

Während also meine Begeisterung für diese Idee wächst, erklären mich knapp 99,9% meiner Bekannten und Freunde in Kairo für verrückt. Nur einer nicht. Mohamed, begeisterter Radler, Hiker, Camper. Eine Art Mensch, von denen es in Ägypten nicht allzu viele gibt. Radfahren als Sport und Freizeitbeschäftigung ist etwas, dass die Ägypter erst in den letzten Jahren entdeckt haben und das seither begonnen hat, sich zu entwickeln. Als Mohamed sich vor 10 Jahren die ersten Male auf sein Rad gesetzt hat, um damit zur Uni zu fahren, war er einer der ersten. Er erzählt, dass er immer wieder von Journalisten angehalten wurde, die ihn für ein Interview begeistern wollten. Einmal, als er mit anderen Verrückten eine wochenendliche Tour durch Kairo geplant habe, sei seine Gruppe von der Polizei angehalten wurden. Mit der Anschuldigung, eine nicht genehmigte Demonstration durchzuführen. Mittlerweile hat Mohamed bereits einige Tagestouren mit bis zu 170km hinter sich gebracht. Sein lang gehegter Traum, einmal am Nil entlang zu fahren, steht allerdings noch aus. Also fangen wir gemeinsam an zu fantasieren, rumzuspinnen und Pläne zu schmieden. Und dann ist es soweit: Es ist Ende Januar, als wir schließlich mit unseren voll gepackten Rädern die Stadt verlassen.

 

Es muss ein witziges Bild gewesen sein, wie wir beide an einem Mittwochmorgen unsere Räder auf die Corniche, die Uferstraße am Nil, nahe Maadi geschoben haben und von dort Richtung Süden losgeradelt sind. Ein Bild, das vermutlich bei jedem einigermaßen professionellen Radler schallendes Gelächter ausgelöst hätte. Warum? Etwas in dem Bild war ziemlich schief. Und zwar der Turm, den Mohamed auf seinen Gepäckträger gestapelt hatte. Nein, es ist nicht so, dass wir keine Zeit gehabt hätten, ordentliche Radtaschen zu organisieren. Aber Moh ist und bleibt nun einmal Ägypter. Und wer glaubt, er könne am Abend vor Aufbruch unserer Reise noch ordentliche Radtaschen in Kairo auftreiben, der wird wahrscheinlich enttäuscht werden.

 

Wir waren gemeinsam das erste Mal im Dezember in verschiedenen Radläden, um ein günstiges Fahrrad zu organisieren, auf dem ich die knapp 1000km bis Aswan hinter mich bringen konnte. Eine Woche vor unserer Reise holte ich dann den Drahtesel, der mir zum treuen Begleiter werden sollte, in einem Shop von Abu Ghoul ab. Ein Giant Liv Alight. Ja, ich weiß, dass kein Reiseradler, der etwas Ahnung hat, sich ein Rad dieser Marke zulegen würde. Aber in Kairo war es das Beste, dass ich für mein Budget bekommen konnte. Und eine Tour unter diesen Bedingungen sollte es definitiv schaffen. Der Besitzer des Radgeschäfts, Egromi, befestigte mir noch einen Gepäckträger am Rad, dann war das gute Stück startklar.

Mohamed hatte sich das Crossrad eines Freundes geliehen, an dem sich ebenfalls ein Gepäckträger befestigen ließ. Er hatte schließlich eingesehen, dass sein eigenes vollgeferdertes Mountainbike absolut ungeeignet war für eine mehrtägige Tour mit Zelt und Gepäck. Was Mohamed's Taschen betrifft, nun ja ... Ich erinnere mich, dass er mit Egromi darüber gesprochen hatte und war sicher, dass dieser ihm welche organisieren würde. Als wir uns am Abend vor dem Trip noch einmal an Egromis Shop treffen, um die Räder ein letztes Mal überprüfen zu lassen, erfahre ich allerdings, dass Mohamed noch immer keine Taschen hat. Egromi zeigt ihm eine aufsetzbare Tasche für den Gepäckträger. Ich kann mir nicht vorstellen, wie er in diese Tasche sein ganzes Gepäck unterbringen möchte, geschweige denn, wo er dann noch sein Zelt und seinen Schlafsack befestigen möchte. Aber eine Alternative gibt es an diesem Abend nicht mehr. Also nimmt er die Tasche mit. Mit leichten Bauchschmerzen verabreden wir uns schließlich für den nächsten Morgen um 8 auf der Corniche, auf dem östlichen Ufer des Nil.

 

Nach einer kurzen Nacht sitze ich einige Stunden später mit einem Kaffee auf dem Balkon. Mein Rad steht bepackt bereit im Flur. Ich warte auf Mohamed's Anruf, der mich wissen lässt, dass er auf dem Weg ist. Ich kann ihn selbst nicht erreichen und als ich um 8 noch kein Lebenszeichen von ihm bekommen habe, werde ich langsam ungeduldig. Ich muss leicht schmunzeln, als ich mich daran erinnere, dass es er war, der am liebsten schon viel früher gestartet wäre. Schließlich klingelt mein Telefon dann doch und zeigt seinen Namen auf dem Display. Die Stimme, die ich am anderen Ende höre, klingt etwas verzweifelt. Mohamed meint, dass er gerade noch einmal in seine Wohnung zurückgekehrt ist, um seine Taschen zu tauschen, die Radtasche sei - welch Überraschung - viel zu klein. Schließlich habe er das meiste Gepäck in einem großen Rucksack verstaut. Außerdem, so meint er, müsse er noch einmal zum Radgeschäft, um die Tasche zurück zu geben, ansonsten würde er das Geld nicht wieder bekommen. Etwas frustriert lege ich auf. ich bin mir nicht sicher, ob ich tatsächlich etwas anderes erwartet habe. Wahrscheinlich bin ich dafür einfach schon zu lange in Ägypten. Ich schaue auf die Uhr. Ich beginne daran zu zweifeln, dass wir tatsächlich die erste geplante Etappe bis Beni Suef schaffen werden. Knapp 130km liegen vor uns. Auch wenn wir für den Notfall Zelte dabei haben, eigentlich hoffe ich, dass dieser Notfall während unserer Tour nicht eintreten wird. Und dass wir außerhalb der Bezirkshauptstädte ein Hostel finden können, das erscheint uns eher unwahrscheinlich. Meine Hoffnung baut also darauf, dass der Wind mit uns sein wird und keine unvorhersehbaren Zwischenfälle auftreten.

 

Es ist kurz vor 9, als Mohamed wieder anruft und mir mitteilt, dass er vor meiner Haustür steht. Er meint, dass er Mühe und Not hatte, sein Gepäck auf dem Weg hier her nicht zu verlieren, also packe ich meine übrigen Schnellspanner ein und - nach einem kurzen Zögern - noch einen Gürtel. Als ich ihn dann vor mir sehe, - einen großen Rucksack auf dem Gepäckträger, darüber das Zelt und der Schlafsack mit enormer Rechtsneigung, und dann baumelt da noch seine Provianttasche, - da staune ich und frage mich, wie er es geschafft hat, die 20km von seinem zuhause bis zu mir zu radeln. Und nicht zu vergessen, mit einem Zwischenstopp beim Radgeschäft. Wir laden sein Gepäck ab und stapeln das Ganze noch einmal neu, beginnend mit dem Rucksack, den wir mit dem Gürtel um den Gepäckträger schnallen. Den Rest befestigen wir mit den Schnellspannern. Das Ergebnis wirkt kaum stabiler. Ich zweifle daran, dass wir damit auch nur einen Kilometer kommen werden. Geschweige denn die 130km bis Beni Suef vor Einbruch der Dunkelheit. Aber wir versuchen es. Und während wir der mit Schlaglöchern dekorierten Straße Richtung Corniche folgen, versuche ich, überall hinzusehen, nur nicht zu den Gepäckstapel auf Mohameds Rad. Und tatsächlich, wir schaffen es auf die Corniche, schieben unsere Räder auf die andere Straßenseite und fahren los.

 

Unser nächstes Ziel von hier ist die Agriculture Road auf dem Westufer des Nils. Das ägyptische Verständnis einer Autobahn, die von Kairo durch das Niltal bis nach Aswan führt. Auf ihrem Weg kreuzt sie dabei insgesamt sechs Bezirkshauptstädte, einige Kleinstädte und unzählige Dörfer. Theoretisch planen wir, jeden Tag von einer Hauptstadt zur nächsten zu gelangen. Ausgenommen der Etappe zwischen den Städten Luxor und Aswan, zwischen denen über 200km liegen und wir daher definitiv noch irgendwo einen Zwischenhalt einlegen müssen. Die nächste Brücke liegt etwa 20km hinter Kairo, wir wollen jedoch schon vorher mit einer Fähre ans Westufer wechseln

Hier geht's weiter zu Teil II: Kairo - Beni Swuef

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