Auf zwei Rädern am Nil aufwärts (Teil II: Kairo - Beni Swuef 130km)

Es ist Feiertag, Tag der Revolution von 2011, als wir Kairo verlassen. Die theoretisch drei -, praktisch vier- bis fünfspurige Straße ist daher weit weniger befahren als sonst. Was nicht heißt, dass die Autofahrer weniger chaotisch unterwegs wären. Wir versuchen uns an der Seite zu halten, was sich jedoch bei einer Straße, die sich zum Fahrbahnrand immer mehr in Staub auflöst, nicht ganz einfach gestaltet.

Hier geht's zu Teil I: Ein holpriger Start.

 

Aber zumindest, zu meiner großen Überraschung, überholen uns die meisten Fahrzeuge mit übertriebem großen Sicherheitsabstand. Fast so, als wollten sie auf uns Radfahrer Rücksicht nehmen. Das ununterbrochene Hupen sparen sie sich allerdings auch heute nicht.

 

Während ich mich darauf konzentriere, den Löchern auf der Fahrbahn auszuweichen, fliegt rechts von uns hin und wieder ein Stück Nil vorbei. Dann, wenn das Ufer nicht durch hässliche Fabriken oder die Tankstelle, an der ich noch schnell meine Reifen etwas aufpumpe, zugebaut ist. Zur linken Seite folgen uns hingegen noch immer farblose, triste Hochhäuser, zunächst von Tora, schließlich von der Kairoer Vorstadt Helwan. Eine triste Landschaft, eingetaucht in grauen Smog, der Nil ebenso trübe, wie der Himmel, der die Sonne verdeckt. Dafür sind zumindest die winterlichen 15 Grad sehr angenehm. Temperaturen, die wir noch vermissen werden, je weiter wir nach Süden kommen. Aber zunächst einmal müssen wir den Fluss überqueren.

 

Wir fragen einige Male und trotzdem verpassen wir die Abfahrt zur Fähre beinahe. Der Fahrkartenverkäufer winkt uns vorbei an den wartenden Fahrzeugen an den Beginn der Schlange. Weit aufgerissene Augen folgen uns aus den Fahrzeugen heraus als auch von dem kleinem Café, in dem einige Männer Tee schlürfen oder eine Shisha rauchen. Das Ticket kostet uns zwei Gineh. Die Fähre teilen wir uns schließlich mit einigen Autos, Motorrädern und Lastwagen.

Direkt neben unseren Rädern hat man einen Käfig mit kleinen Kücken auf dem Moped festgeschnallt. Die Konstruktion hat Ähnlichkeit mit Mohameds Gepäckstapel. Der Besitzer der Kücken bemerkt schließlich meinen Blick. Er öffnet den Käfig, nimmt zwei der Kücken heraus und hält sie mir vor die Nase. Foto, Foto., meint er. Etwas zögerlich packe ich die beiden weichen Kugeln und lasse von Moh ein Foto schießen. Bevor wir die Kamera wieder wegpacken können, deutet er mit seinen Zeigefingern auf seinen spielfilmreifen Zwirbelbart. Foto, Foto, wiederholt er und zwinkert uns zu. Und schon ist das passiert, was ich die letzten Monate zu vermeiden versucht habe. Ich bin Tourist. Was sonst sollte ein Mensch mit bepackten Fahrrad und Kamera auch sein?

Dann sind wir auch schon fast da. Wir schieben unsere Räder von der Fähre und folgen der Auffahrt zunächst einige hundert Meter Richtung Westen, wo wir schon bald auf die Agriculture Road stoßen sollen. Während die Zufahrt zur Fähre auf der Ostseite zumindest noch stellenweise asphaltiert war, strampeln wir nun einen ackerfarbenen, zerlöcherten Weg hinauf. Es geht weiter über eine Brücke, unter uns sehen wir die Landwirtschaftsstraße, die uns für die nächsten Tage zur treuen Begleiterin werden soll. Immerhin, mehr Asphalt als Loch, stelle ich erleichtert fest. Dann fahren wir auf die rechte Fahrbahn hinunter, die durch eine kleine, graue Mauer von der Gegenspur getrennt ist. Ich schaue noch einmal auf die Uhr. Um 10. Noch gut 100km liegen vor uns, ab um 5 soll es dunkel werden. Das sollte zu schaffen sein, denke ich gut gelaunt und strample los.

 

Während unser Weg uns zunächst durch eine noch städtisch besiedelte Gegend führt, stellen wir schnell fest, dass wir Kairos Zentrum weit hinter uns gelassen haben. Die zerbeulten Oldtimer als auch die kleinen TukTuks, die uns immer wieder am Straßenrand entgegen kommen, machen keinen Unterschied zu Kairo. Die Art, wie die Menschen auf uns reagieren, jedoch schon. Hände werden aus den kleinen Sammelbussen herausstreckt, die uns winken. Die oft minderjährigen Fahrer aus den TukTuks pfeifen uns zu. Und schließlich immer wieder die gleichen Rufe von den Menschen, die am Straßenrand stehen und den Kindern, die aufspringen und winkend auf uns zurennen: Aganib, Aganib! (Ausländer, Ausländer) oder Abijat, Abijat! (Weiße, Weiße!). Welcome! Welcome! So schnell haben also ein Radhelm (ja wohl, ich hatte einen Radhelm auf ;) und ein Fahrrad ohne Rost auch Mohamed zum Ausländer gemacht.

 

Je weiter wir uns von Kairo entfernen, desto häufiger hingegen höre ich Bint bil Agala! (ein Mädchen auf einem Fahrrad). Das scheint hier noch eine größere Attraktion zu sein. Einmal erlebe ich es sogar, wie Frauen von der Ladefläche eines TukTuks, das eine Weile vor mir hertukt, aufgebracht die Hände heben und mir zurufen, was ich da nur treiben würde!? Ja was wohl, Fahrrad fahren, sieht man doch, denke ich und entschließe mich, sie zu ignorieren. Nach einer Weile dämmert es ihnen dann, heja agnabeja (eine Ausländerin). Ein großes Ahh!, die Gesichter hellen sich auf und plötzlich heißt es wieder Welcome! Alles klar, was einer Ägypterin Hohn und Spot einfängt, macht mich zum Star, denke ich mit Bedauern für die mutigen Radlerinnen, von denen es inzwischen einige in Ägypten gibt.

 

Noch einige Kilometer weiter, dann verengt sich unser Weg enorm. Überall am Fahrbahnrand wurden Landwirtschaftsfahrzeuge abgestellt. Beladen mit Getreide oder Gras. Dazu kommen LKWs vor uns, hinter uns und neben uns. LKWs, die schwarze Wölkchen ausstoßen. Es staut sich, wir finden allerdings meist eine schmale Gasse, durch die wir uns zwängen können. Als wir schließlich die letzten Siedlungen hinter uns lassen, flaut der Verkehr wieder ab. Zeitweise haben wir sogar die ganze Straße für uns.

Wir nutzen die Gelegenheit für einen kurzen Stop, um eine Banane zu essen. Achtlos wirft Mohamed seine Bananenschale zu dem anderen Müll im Seitengraben. Die verrottet ja, verdeitigt er sich. Ich schüttle nur resigniert den Kopf, packe meine Tüte aus und stecke meine Schalen hinein. Nie und nimmer werde ich mich in dieser Sache anpassen. Egal ob mann meine Perspektive versteht oder nicht. Denke ich jetzt. Am ersten Tag. Einige Stunden nach Aufbruch.

 

Wir rasten noch einige Minuten. Ich lasse meinen Blick durch die grüne Landschaft schweifen, die uns jetzt umgibt. Bis zum Horizont reichen die grasbewachsenen Felder, und zwischen drin reckt sich vereinzelt eine Palme erhaben dem grauen Himmel entgegen. Nur Menschen gibt es hier heute kaum einen. Abgesehen von denen, die uns auf ihren Moped oder mit ihrer Drahtbüchse überholen.

 

Wir fahren noch eine gute Stunde weiter, bevor wir an einer Moschee halten, um eine etwas längere Mittagspause einzulegen. Mohamed geht Beten. Das Mittagsgebet ist zwar bereits vorbei, wir treffen allerdings einen Mann vor der Moschee, der ihm das Gebäude aufsperrt. Als gläubiger Muslime sollte man theoretisch fünf mal am Tag beten: Bei Sonnenaufgang, mittags, am Nachmittag, zum Sonnenuntergang und noch einmal am späteren Abend. Je nach Tageszeit wird das Gebet dabei in einer unterschiedlichen Anzahl wiederholt. Ich erwische mich immer wieder dabei, wie ich hin- und herschwanke, zwischen Bewunderung über die Disziplin meiner muslimischen Freunde als auch Erleichterung, dass es uns Gott im Christentum so einfach gemacht hat.

 

Später erklärt mir Mohamed, dass während einer Reise abweichende Regeln gelten. Das Mittags- und das nachmittägliche Gebet dürfen miteinander kombiniert werden und wenn nötig, im Voraus oder im Nachhinein durchgeführt werden. Außerdem verkürzt sich die Anzahl der Wiederholungen. Gleiches gilt für das Gebet zu Sonnenuntergang und am späteren Abend. Für Mohamed heißt das also nur noch dreimal am Tag beten.

 

Als er zurückkommt, fragt er für mich nach einer Toilette. Der Mann schüttelt nur den Kopf, scheinbar gibt es keine. Dann komme ich selber mit ihm ins Gespräch. Er findet Deutschland toll, meint er, wie ich es von so vielen anderen Ägyptern auch schon gehört habe. Und plötzlich gibt es eine Toilette. Er deutet auf eine schmale Treppe, die auf das Dach hinauf führt. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Als ich dann vor dem kleinen Häuschen auf dem sonst kahlen Dach stehe, fange ich an zu zweifeln, dass die plötzliche Existenz einer Toilette etwas mit meiner Nationalität zu tun hatte. Wahrscheinlicher scheint mir jetzt, dass er die Ansprüche einer Studentin, die bereits seit einiger Zeit in Ägypten lebt, als geringer einschätzt, als die normaler Touristen. Egal, ganz im Unrecht ist er damit ja nicht. Ein ummauertes Loch im Boden ist allemal besser als die grüne Wiese am Straßenrand.

Auf unserer Weiterfahrt taucht dann das erste Mal ein Polizeicheckpoint vor uns auf. Ich halte den Atem an. Viele Bekannte haben uns davor gewarnt, dass man mich ohne offizielle Genehmigung sowieso gleich zurück nach Kairo schickt. Ich bezweifelte allerdings auch, dass irgendjemand während der gegenwärtigen Situation die Verantwortung für unseren Trip übernehmen wollte. Also habe ich gar nicht erst versucht, irgendwo im Papierdschungel der Mogamma irgendein Papier zu beantragen. Klare Gesetze gibt es scheinbar sowieso keine und die, die es gibt, werden nach Laune und Befinden des Beamten ausgelegt.

 

Also lass ich meinen Atem wieder entweichen und hoffe darauf, dass die Polizisten auf unserem Weg in guter Stimmung sind. Und ich werde nicht enttäuscht. Wir werden zwar an die Seite gewunken und müssen unseren Ausweis zeigen, nach irgendeinem anderen Papier fragt allerdings niemand. Die rießige Menschentraube, die uns plötzlich umgibt, hat gerade andere Dinge im Kopf. Es herrscht Partystimmung. Von irgendwo kommt laute Musik, Fähnchen werden verteilt. Und dann bemerke ich die Kameras, die uns plötzlich in den Fokus nehmen.

 

Als wir weiterfahren, erklärt mir Mohamed, dass heute nicht nur Tag der Revolution ist, sondern dass dieser Tag ursprünglich ein Feiertag zu Ehren der Polizei war. Und die feiert ihn auch heute noch. Eine merkwürdige Ironie. Ich muss an die Erzählung eines Bekannten denken, der meinte, dass der Auslöser der ersten Demonstrationen die Willkür des korrupten Polizeiapparats gewesen sei. Und will man den westlichen Medien glauben, hat sich an diesem Zustand bis heute nichts geändert. Und nun feiern sie zusammen. Um eine verlorene oder, wie sie andere bezeichnen, eine gestohlene Revolution. Des einen Freud ist des anderen Leid.

 

Am späten Nachmittag queren wir einige größere Städte. Die Straßen sind um diese Uhrzeit verstopft. Die Autos bewegen sich nur im Zeitlupentempo. Wir suchen uns wieder einen Weg durch die Lücken. Ebenso wie die TukTuks. Eines von ihnen schneidet Mohamed scharf im Vorbeifahren. Die halbwüchsigen Jungs aus dem Fahrzeug drehen sich kurz um und lachen gehässig. Einige junge Männer, die uns zuvor zugewunken haben, springen daraufhin auf das TukTuk zu. Sie packen die halbwüchsigen Jungs am Kragen. Was dann passiert, bekomme ich nicht mehr mit. Es geht weiter. Und nun verfolgt uns ein anderer TukTuk-Fahrer. Ein Stein trifft mich an der Schulter. Und dann taucht wieder einer unserer Verteidiger mit dem Motorrad neben uns auf. Er begleitet uns, bis wir aus der Stadt raus sind und der Verkehr wieder abnimmt. Dann winkt er uns zu und verschwindet.

 

Ich bin erleichtert, als wir schließlich Beni Suef erreichen. Wir liegen gut in der Zeit, auf unseren Tacho stehen zudem nur 110km anstatt der 130 laut Google Maps. Wir werden am Stadteingang von Mostafa abgeholt, einem Couchsurfer, der uns in der Stadt ein günstiges Hostel organisiert hat. Er wohnt in einem kleineren Ort wenige Kilometer vor Beni Suef. Die kulturellen als auch seine häuslichen Bedingungen erlauben es nicht, uns beide zu hosten. Also versucht er uns auf diese Weise zu unterstützen. Er ist zusammen mit einem weiteren Freund im Auto gekommen. Sie fahren uns voran und führen uns zum Hotel. Es liegt etwas versteckt in einer schmalen Straße in der Innenstadt.

 

Wir werden von Männern in schicken Anzügen begrüßt, sie helfen uns, unsere Räder in die recht luxuriöse Lobby zu tragen. Dann checken wir ein. Mostafa hat bereits für uns reserviert. Mein Zimmer kostet mich für die Nacht 175EGB (ca. 9€), Mohamed zahlt als Ägypter 150EGB. Für Zimmer, die sich schließlich als sehr eng herausstellen. Aber sie haben alles, was wir brauchen: Ein Bett und eine Dusche. Und zudem sind sie sauber. Mostafa und sein Freund verabschieden sich, wir wollen sie später am Abend noch einmal treffen. Wir gehen duschen, dann treffen wir uns im Restaurant im Dachgeschoss. Wir sind begeistert, als wir uns auf die bequemen Sessel neben die rießigen Fenster setzen. Von hier blickt man auf die inzwischen beleuchtete Stadt hinaus.

 

Wir lassen uns alles auftischen, was unser Herz bekehrt. Von Kofta bis Mahsi, all das, was die geniale ägyptische Küche zu bieten hat. Und dieses Festmahl kostet uns am Ende nicht mehr, als ein Menü bei McDonalds.

Mit vollgeschlagenen Magen treffen wir schließlich wieder Mostafa und seinen Freund. Sie holen uns mit dem Auto ab, um uns einmal quer durch die ganze Stadt zu fahren. Beni Swuef hat touristisch nichts zu bieten und wird daher auch in den meisten Reiseführern nicht erwähnt. Hier in Ägypten ist die Stadt jedoch wegen ihrer großen Universität bekannt, meint Mostafa und deutet auf das auffällige Gebäude. Dann fahren wir über die Nilbrücke. Die einzige im Umkreis von vielen Kilometern. Sie führt nach Neu-Beni Swuef. Wie in den meisten anderen Bezirkshaupststädten, hat man irgendwann angefangen, die Stadt auf dem Ostufer zu erweitern.

 

Nach einer Weile kehren wir dann ins alte Beni Swuef zurück. Wir setzen uns in eine modernes Café, das Starbucks in nichts nachsteht. Dafür gibt es im hier Gegensatz zu der amerikanischen Kette frischgepresste Säfte zum erschwinglichen Preis. Wir unterhalten uns, während um uns herum ein scheinbar wichtiges Fußballspiel läuft. Zum Glück für mich. Denn während die Jungs schließlich am Bildschirm hängen bleiben, fällt niemanden auf, dass ich eigentlich zu erschöpft und müde bin, um aufmerksam ihre Erzählungen zu verfolgen. Geschweige denn einen vernünftigen englischen Satz zu formen. Moh ist ebenso müde. So verabschieden wir uns in der Pause vor der zweiten Halbzeit und kehren ins Hotel zurück. Anstatt wie geplant ein paar Zeilen in meinem Tagebuch zu notieren, falle ich sofort ins Bett und bin schnell eingeschlafen.

 

Hier geht's weiter zu Teil III: Beni Swuef - Minya

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Kommentare: 1
  • #1

    Uwe Lagodny (Sonntag, 24 Mai 2020 16:29)

    Hallo,
    da ich im dezember auch endlich die Tour machen will, frage ich dich nach den Windverhältnissen. Ist es besser den Nil rauf zu fahren im Dezember,--vielleict mit Rückenwind oder umgekehrt?
    Danke schon jetzt
    uwe
    www.uwe-lagodny.de/bücher